Rundherum - die Fahrradweltreise (vom 1. 5. 1998 bis 2. 12. 2001)

tour

ein paar Bilder gibt es hier

Acht Jahre nach dem "Fall der Mauer", im Zeitalter der Reisefreiheit für die Neu-bundesbürger stand ich am 1. Mai 1998 am Start, mitten in der Plattensiedlung Wolfen-Nord. Viele Freunde, Bekannte, sogar der Bürgermeister meiner Heimatstadt und Vertreter der lokalen Presse hatten sich eingefunden, um mich zu verabschieden. Unser Team: mein bepacktes Fahrrad "Else" (so getauft nach einem Dick und Doof Film) und ich, in Radklamotten, wurden bestaunt, die nagelneuen Packtaschen misstrauisch begutachtet da sollte alles drin sein für so eine lange Reise.

Ob der das bis Sydney schafft? Viele Fragen sah ich in den Augen der neugierigen Menschen. Aber ich kannte das "Traveller" Sprichwort aus vielen kleinen Reisen, die es vor der kommenden Mammuttour gegeben hatte: "Der Weg ist das Ziel". Und dann gab es noch das Motto aus der Zeit der Goldschürfer in Alaska vor mehr als 100 Jahren: "Lieber gescheitert als es nie versucht zu haben". Und versuchen musste ich es einfach.

Vier Jahre hatte ich mich vorbereitet, jede entbehrliche Mark auf mein Reisekonto eingezahlt, mein Hausrat war schon seit Wochen in Kisten verpackt und in einer Scheune verstaut. Der letzte und schwerste Schritt war die Aufgabe meiner Arbeitsstelle in einem Fahrradshop. Immerhin hatte ich sechs Jahre dort nicht nur mein Auskommen, sondern im Laufe der Zeit war in dem kleinen Dreimannbetrieb zwischen Reparatur und Ersatzteilverkauf ein familiäres Klima entstanden. Aber, was sollte ich machen, das Fernweh war stärker, der Drang, in fremde Länder zu reisen, Exotisches zu sehen und in fremde Kulturen einzutauchen, brannte in mir.

Als 14 Uhr der Spielmannszug unserer Stadt "Muss i denn, muss i denn zum Städtelein hinaus" intonierte, war ich froh, dass der Trubel endlich vorbei war und die Räder sich drehten. Ostwärts ging's Richtung Polen, Russland, Kasachstan, China...unvorstellbar und sooo weit weg. Aber Stück für Stück und Tag für Tag den Weg erleben jetzt hielt mich nichts mehr auf.
...und in zweieinhalb Jahren, wenn alles gut geht, bin ich am Ziel! Dann beginnen die Olympischen Spiele in Sydney. Dort wollte ich meinen Beitrag leisten und zeigen, dass es um Sport und Spaß geht und sich nicht alles nur um Geld, Sponsoring und Korruption dreht.

Bei mir ging es erst mal um etwas ganz anderes. Noch nie war ich eine so lange Zeit allein unterwegs, noch nie so weit weg von zu Hause und Heimat und in so fremden Kulturen. Würde man mich überhaupt in China reinlassen? Und was wird an der Grenze zu Tibet, wenn ich nicht durchfahren darf? Komme ich mit großen Höhen klar? Fragen über Fragen schossen mir durch den Kopf. Aber noch rollten die Räder in Richtung Spreewald. Zwei Freunde, Steffen und Thomas, begleiteten mich noch die ersten zehn Tage durch Polen. Dann hinter Terespol/Brest, die Grenze zu Weißrussland, würde ich endgültig ganz allein sein.

Nach diesen ersten Tagen Alleinfahrt mit meiner Else stellte ich sehr schnell fest, dass man eigentlich nie allein war. Auch das sollte sich in den nächsten dreieinhalb Jahren nicht ändern. Viele Menschen traf ich, viele sprachen mich einfach an, luden mich zu sich ein. Das ist ein großes Plus des Alleinradelns: man ist auf "leisen Socken" unterwegs, langsam und immer live im Leben bzw. auf der Straße, ohne Begleitung. Und da der Mensch also auch ich Kontakt mit anderen Menschen braucht, ist man immer auf der Suche nach Kommunikation. Und das geht am einfachsten mit "Einheimischen". Auf diese Weise tauchte ich immer tief ein in das Leben, die Sorgen, Ängste und die Nähe der Menschen des jeweiligen Landes. Aber auch lustige und fröhliche Zeiten konnte ich mit meinen Gastgebern teilen.

Schon in den ersten Wochen und Monaten dieser Riesentour, nach wenigen Erfahrungen merkte ich, dass mein eigentliches Ziel nicht die großen touristischen Attraktionen (z.B.: das Taj Mahal in Indien oder der Eyes Rock in Australien) sein werden, sondern Menschen: Einheimische oder Reisende wie ich. Auch wenn man sich nur kurz begegnete, so konnte ich doch stets etwas mitnehmen und das gab mir Kraft auf meinem weiteren Weg.

Es war eigentlich egal, auf welcher Route man sich befand, immer gab es was zu entdecken: in einem kleinen Gespräch, auf einem Markt in einem Dorf oder am Wegesrand. Menschen, Tiere, Pflanzen, man musste nur aufmerksam schauen. Ich stellte schnell fest, dass die Menschen außerhalb der Touristenstraßen offener und freundlicher, ja sanfter, waren. Ähnlich wie an der Strecke von Lhasa nach Katmandu, an der Kinder auf die Tojotageländewagen mit Sieben-Tags-Touristen warteten, um ein paar Süßigkeiten oder Geld zu erhaschen, ging es an allen "Pauschal-Touristen"-Zielen zu. Da bekommen die Einheimischen und die Touristen ein falsches Bild voneinander. Ich fand es beschämend, wie mit ein paar Süßigkeiten das Gewissen beruhigt wird und diese Gesten als Hilfe verstanden werden.
Und dann kam ich mit meiner "Else" und die Kinder bettelten mich auch an. Ich hatte natürlich nicht die erhofften "Gaben" und so kamen dann auch schon mal Steine geflogen. Und schließlich hatte ich Angst vor jedem kleinen Dorf, das ich durchfahren musste.

Auf der Strecke von Golmud (China) nach Lhasa konnte ich das Phänomen nicht beobachten. Dort hat das Reisen großen Spaß gemacht. War es in Tibet eher die körperliche Herausforderung, so kamen in Indien andere Aufgaben auf mich zu. Hier waren die Menschen zwar nicht unfreundlich, aber oftmals aufdringlich neugierig. Oft gab es wegen mir regelrechte Massenaufläufe. Dieses Land war ein Extrem in vielerlei Hinsicht. Hier trafen alle Gegensätze fast täglich zusammen: Schön und Hässlich, Arm und Reich. Dazu kamen noch der chaotischen Straßenverkehr, durch den ich mich mit meinem Rad durchkämpfen musste oder wollte. Hier, auf diesem Subkontinent, musste ich viel lernen. Zwar muss man das als Reisender immer, sonst versteht man die alltäglichsten Dinge nicht, aber spätestens hier in Indien wurde mir klar, dass unsere Gesellschaft mit seinen Werten und Denkschemen nicht der Maßstab aller Dinge ist.

Cirka sechs Monate bereiste ich Indien, anschließend Bangladesch; dieser Reiseabschnitt, einschließlich Tibet und Nepal war im Nachhinein gesehen der interessanteste und exotischste meiner Weltreise.
Burma (Myan Mar) war ein Land, das mir verschlossen blieb. Und da es keine Möglichkeit gab von Indien bzw. Bangladesch aus nach Thailand zu kommen, so blieb mir nur der Flug von Kalkutta nach Bangkok.
Südostasien war erreicht und das bedeutete für mich: Thailand, Laos die buddistischen Länder dann Malaysia und Indonesien als vorwiegend islamisch geprägte Länder. Hier gab es ein meist feuchtes und warmes Klima, an das ich mich schnell gewöhnte. Mir blieb ja auch gar nichts anderes übrig, wollte ich mit meinem Rad vorwärts kommen. Vor allem in Thailand und Laos gibt es viele buddistische Klöster am "Wegesrand" mit sehr freundlichen Mönchen, so dass ich in diesen Ländern oftmals in den sogenannten What nächtigen konnte. Oft leisteten mir die neugierigen, aber zurückhaltenden Mönche Gesellschft und wir saßen bis spät in die Nacht hinein zusammen und tauschten uns aus »über Gott und die Welt«.

In Malaysia gab es ein Erlebnis außergewöhnlicher Art, was dieses Land in besonderer Erinnerung taucht. In Johur Baru, ganz im Süden, man kann schon fast Singapur sehen, wollte ich in einer Autowerkstatt meinen Benzinkocher reparieren lassen. Ich kam, wie schon so oft, in ein Gespräch. Es war Freitag Nachmittag. "Was, du fährst bis Australien mit dem Rad?" fragte mich ein etwas untersetzter junger Mann mit pechschwarzen Haaren, "Hast du schon etwas vor?" "Was soll ich denn vorhaben?" fragte ich zurück. "Heute Abend gehen wir in die Disco. Und außerdem muss ich dich meiner Familie vorstellen." "Else" wurde fürs erste in die Autowerkstatt geschoben und eingeschlossen. Rein ins Auto und los ging es zur Familie. Und dort blieb ich wie so oft für mehrere Tage "hängen". Diese freundliche islamische Familie behandelte mich wie einen Sohn und ich musste zur Frau des Hauses "Ma" sagen.
Und so könnte man viele Geschichten von Begegnungen, Hilfen und Gastfreundschaften erzählen.

Dann ging das große "Inselspringen" los: den Anfang der Indonesischen Inseln, die ich durchradelte machte Sumatra. Die Stadt Medan war meine erste Station, dann ging es weiter nach Java, Bali, Lombok, Sumbawa, Flores bis nach Kupang auf Timor. Diese große Inselwelt war wie ganz Südostasien sehr vielseitig und interessant. Viele angenehme Erlebnisse haben sich über diesen Reiseabschnitt in meinem Gedächtnis gespeichert, so dass ich etwas wehmütig, aber auch voller Erwartungen am 1. September des Jahres 1999 in den Flieger nach Darwin (NT Australien) stieg.
Eine völlig neue Welt empfing mich ein Land, das zugleich Kontinent ist. Viele tausend Kilometer radelte ich in den folgenden Wochen. So manchen Kilometer teilte ich mir mit anderen Radreisenden, z.B: begleitete mich zwei Monate lang eine US-Amerikanerin aus Oklahoma, eine weiter Strecke hatte ich Gesellschaft durch Takeshi, einem Japaner.
Mittendrin in meiner Australientour gab es einen Abstecher zum Land der Maori und des Kiwis, einem fast blinden, flugunfähigen Vogel. Über ein Jahr verbrachte, verradelte, verlebte ich auf diesem beeindruckenden Kontinent, inklusive des Abstechers nach Neuseeland.

Die Zeit der Olympischen Spiele, im September 2000, kamen dann sehr schnell in Reichweite. Zum letzten Mal ging's nach Sydney. Ich freute mich auf den Tag, den ich im Olympischen Dorf verbringen durfte. Nach einem Interview mit der ARD, zwei Wochen »Party« in der Stadt hatte ich genug von dem olympischen Trubel. Mich zog es wieder weiter. Da waren ja noch Mutter, Vater, Schwester, die mich irgendwann mal wieder zu Gesicht bekommen wollten. Das war aber nicht der Hauptgrund für die Fortsetzung meiner Reise. Jeder Kilometer machte auf den nächsten neugierig und "Mutter Erde" ist groß; ich wollte Dinge entdecken, neue Länder erfahren, Menschen kennen lernen. Dieser "nomadische Trieb" ließ mich Ende September ins Flugzeug nach Santiago des Chile steigen. Wehmütig verliefen die letzten Tage in "Down Under. Ich merkte wohl, dass die lange Zeit hier starke Wurzeln entwickelt hatte, die ich ausreißen musste. Und das tat ein bisschen weh in der Seele. Viele neue Freunde, die mir in dieser Zeit ans Herz gewachsen waren, ließ ich zurück mit dem Gedanken, dass das Eine nicht ohne das Andere geht.

Im Andengebiet kurbelte durch das ehemalige Inkareich hoch bis Kolumbien. Es ist schon etwas anderes, wenn man die alten Kulturen hautnah selbst betrachten kann. In Equador überlebte ich einen bewaffneten Überfall nur mit viel Glück und dem Mut von zufällig vorbeikommenden Reisenden. Eine Nacht im Krankenhaus und zwei genähte Platzwunden am Kopf waren der Preis, den ich äußerlich zahlen musste. Dieses Negativerlebnis musste ich erst mal einordnen. Besonders Kolumbien, hatte sich mir eingeprägt als Land mit besonders freundlichen und hilfsbereiten Menschen trotz der großen Probleme, denen man ständig begegnete. Mein Fazit kam dann auch nicht von ungefähr: Ausnahmen gibt es überall. So gestärkt ging dann meine Reise weiter, mein Optimismus wurde nicht enttäuscht, z.B.:?hat sich mir besonders Silvester des Jahres 2000 eingeprägt. Jesus, ein katholischer Priester einer kleinen Kirche, lud mich nach dem Gottesdienst zu sich nach Hause ein. Ich wurde der Verwandtschaft vorgestellt und die ganze Stadt tanzte Salza im Mondenschein auf der Straße...ein echter Höhepunkt. Ich tauchte ein in die Stimmung, denn ich stand nicht abseits wie bei einer Gastrolle. Jeder behandelte mich so, als ob ich schon seit Urzeiten dort leben würde und Teil der Gesellschaft wäre. Tja, das war Südamerika: von erstaunlich bis stressig.

Durch ein Missverständnis landete ich im Mendocino County Jail. Nach einer Nacht war ich wieder auf freien Fuß und um eine Erfahrung reicher.
Erst der beginnende Indian Summer mit der schönen Blätterfärbung war das Zeichen für mich zum Aufbruch und ließ mich aus Kanada (und den endlosen Wäldern) zurückfinden.
Das Wiedersehen mit meinem Heimatkontinent Europa war dann doch schön, denn hier wurde ich erwartet von einem guten Freund, der mir von Jeßnitz aus nach Lissabon entgegen kam. Gemeinsam radelten wir fünf Wochen bis nach Deutschland zurück. Langsam, ganz langsam näherte ich mich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch meiner Heimat. Am 2. Dezember 2001 fand diese Reise ihr Ende. Im Foyer des Kulturhauses begrüßten mich viele Wolfner Bürger, die meine Reise in der Lokalpresse verfolgt hatten; ich musste mit Tränen kämpfen. Dann war alles getan. Ein letztes Mal trat ich in die Pedalen meiner treuen "Else", um nach Hause zum Kaffeetrinken zu fahren. Ganz ehrlich: eigentlich hätte ich jetzt doch weiterradeln können, denn ich wusste genau hinter der nächsten Kurve wartete ein neues Abenteuer.