Der Sonne entgegen – Wladiwostok

Wladiwosatok-Karte

ein paar Bilder gibt es hier

Wladiwostok heißt übersetzt so viel wie: „Beherrsche den Osten“. Nun, den Osten wollte ich nicht beherrschen, aber mich mit meinem Fahrrad aufmachen um den Osten, bzw. den Fernen Osten, zu bezwingen.
Eine lange überlegte Idee begann an einem kalten, aber sonnigen Tag Anfang April Wirklichkeit zu werden: Ich startete in Richtung Osten. Zunächst begleitet von einigen Freunden, strampelten wir bis hinter die polnische Grenze. Tom, aus Sachsen, war noch bis Gliwice, dem ehemaligen Gleiwitz, mein Mitstreiter. Dann war ich wieder allein auf mich gestellt. Aber das war ich ja von den vielen Touren davor schon gewöhnt, deshalb war es für mich auch dieses Mal kein Problem. Ich bewegte mich durch das katholisch geprägte südlich Polen der Ukraine entgegen.

Mit dem Grenzübertritt sah ich viele Pferde, die den Transport übernahmen, oder auf dem Feld beim Pflügen schwitzten. Begeistert war ich auch von der historischen Landschaft der Bukowina, die ich schon auf einer Reise 13 Jahre zuvor auf rumänischer Seite kennen lernte.

Moldawien erinnerte mich doch sehr an Rumänien, die Sprache überschneidet sich zu einem Großteil mit der des Nachbarlandes. Am Dnjestrfluss gab es dann, zu meiner Überraschung, eine Grenze, die auf meiner Karte nicht verzeichnet war. Transdnestrien, wie der schmale Streifen Land bezeichnet wird, hat sich nach heftigen Kämpfen Anfang der 90er Jahre von Moldawien abgespalten.
„Ukraine, die Zweite.“ Ich erreichte den Dnepr, einen großen europäischen Fluss, der in der Industriestadt Saporischtschja angestaut ist. Dort, am Ufer, verbrachte ich ein ganzes Wochenende mit einem Fahrradclub am Lagerfeuer, es wurde gezeltet. Danach konnte ich dann gestärkt Richtung Donetskbecken weiterstrampeln, wo ich mit Kohlekumpels zusammentraf. Die Bergarbeiter holen das „schwarze Gold“ aus unter tausend Metern Tiefe herauf und das bei 40 Grad Celsius zu Tage.

Die Räder rollten weiter zum Don und zur Wolga, der „Mutter aller russischen Flüsse“, hinein nach Wolgograd, dem ehemaligen Stalingrad. Hier gab es eine der größten Schlachten des Zweiten Weltkrieges und es kamen auf beiden Seiten mehrere hunderttausend Soldaten ums Leben. Ein riesiges Denkmal („Mutter Heimat“) auf dem Mamajew-Hügel erinnert an diese schreckliche Zeit.
Ruhiger wurde es dann, wie erwartet, in Kasachstan. Ich durchfuhr die kaspische Senke und die große Steppe im Westen des riesigen Landes. Hunderte Kilometer straffer Gegenwind machte diesen Streckenabschnitt zu einer Nervenprobe. Dann drehte er auf West und schob mich nach Astana, der neuen Hauptstadt, die sich wie eine Fata Morgana aus der Steppe erhebt.

In den letzten Jahren wurden hier Unsummen investiert, um diesem Ort ein modernes Gesicht zu verleihen. Die letzte Stadt in Kasachstan hieß Pawlodar und liegt am Irtysch. Dann war ich wieder unterwegs im größten Flächenland der Erde, in Russland. Vor mir lagen jetzt die sibirischen Mittelgebirge.
Kurz hinter Nowosibirsk holte ich Peter, aus dem Fernen Osten, ein. Peter war 62 Jahre alt und rannte, einen schweren Anhänger hinter sich her ziehend, gen Osten. Er war an der Ostsee, in Kaliningrad, gestartet und erreichte im Herbst das 12000 Kilometer entfernte Wladiwostok zu Fuß. Ich war tief beeindruckt. Tage später erreichte ich den Baikalsee, kämpfte mich durch die Wälder des Fernen Ostens und gegen Millionen Mücken und Fliegen, die hier in jedem Sommer den Reisenden zur Plage werden.

In diesem Jahr baute man intensiv an der neuen Straße durch den Fernen Osten und es gab nur noch wenige Abschnitte, auf denen der Asphalt fehlte. Den Vorteil konnte ich nutzen, kam gut voran und erreichte meinen östlichsten Punkt, die Stadt Hrabarowsk am Amur.
Von da an ging die Fahrt nur noch 700 Kilometer nach Süden und ich war am Ziel, ich war in Wladiwostok. Dort hat die Transsibirische Eisenbahn ihren letzten Bahnhof. Doch bevor ich die 9288 Kilometer mit diesem Zug nach Moskau zurückratterte, bestieg ich noch eine Fähre, die mich nach Japan brachte.

Nach einem kurzen Landgang in Südkorea und zwei Tagen auf hoher See war ich im Land der aufgehenden Sonne. Ich schwitzte mich durch den Süden der Hauptinsel Honshu über die Berge nach Hiroshima. Dort wurde am 6. August um 8.15 Ortszeit die erste Atombombe in einem Krieg von den Amerikanern in 589 Metern Höhe gezündet. Insgesamt starben durch diese einzige Detonation mehr als 200 000 Menschen. Der Punkt, der bei dieser Reise am weitesten von meiner Heimat entfernt lag, war mit schrecklicher Geschichte behaftet, denn auch hier war ich an einem Kriegsschauplatz des letzten Weltkrieges angekommen.
Tage später, ich war zurück in Wladiwostok, bestieg ich mit meinem Fahrrad den Waggon Nr. 10 des Zuges Nr. 239 nach Moskau. Eine Woche mit der Transsibirischen Eisenbahn zu reisen war eine Erfahrung der ganz besonderen Art und eine so lange Zeit kann man nur in Russland in einem Zug verbringen.

Von Moskau nach Lettland strampelte ich im kalten Regen, erreichte die Ostsee und eine Fähre nach Travemünde. Die Ostseewellen schaukelten das Schiff so sehr, dass ich seekrank wurde und froh war, wieder festen Boden unter den Reifen zu verspüren. Die letzten Tage dieser erlebnisreichen Tour verbrachte ich in Mecklenburg und näherte mich schließlich langsam dem Ende der Reise, die im Frühjahr in Wolfen begonnen hatte.
16600 Kilometer hatte ich in den Waden und war fast ein halbes Jahr unterwegs, als die Räder vor dem Gebäude der Stadtwerke zum Stehen kamen.
Zurück blieben Erinnerungen an viele nette und gastfreundliche Menschen, die ich kennen lernen durfte und der Rückblick auf eine fantastisch schöne Reise in den Fernen Osten.

Das Reisetagebuch mit vielen Fotos findet man unter News